Kartengeschichten Teil 11: Kiel im Jahr 1612 – Eine Stadt zwischen Förde und Geschichte

Kartengeschichten Teil 11: Kiel im Jahr 1612 – Eine Stadt zwischen Förde und Geschichte

Die Stadtansicht „Chilonum vulgo Kyell“ von Franz Hogenberg und Georg Braun

„Moin zusammen“ – so würde man wohl auch im frühen 17. Jahrhundert in Kiel gegrüßt haben. Damals war die Stadt noch klein, aber stolz: ein Handelsort an der Förde, eingerahmt von Feldern, Wasser und der klaren Luft des Nordens.

Die Karte, um die es hier geht, trägt den Titel „Chilonum vulgo Kyell“ – „Chilonum“ ist der lateinische Name, „Kyell“ die zeitgenössische Schreibweise. Sie stammt aus dem Atlas „Civitas Orbis Terrarum“, dem ersten umfassenden Städteatlas der Welt, herausgegeben zwischen 1572 und 1618 von Georg Braun und illustriert von Franz Hogenberg. Die hier gezeigte Ausgabe wurde im Jahr 1612 veröffentlicht – eine Momentaufnahme einer Stadt im Übergang.

Ein Blick ins 17. Jahrhundert

Kiel war zu dieser Zeit längst kein unbeschriebenes Blatt. Die Stadt wurde bereits im 13. Jahrhundert gegründet und erhielt 1242 das Stadtrecht. Ihr Name leitet sich vermutlich vom altnordischen „Kill“ ab – eine „schmale Bucht“, was wunderbar auf die Kieler Förde passt, jene langgezogene Seezunge der Ostsee, die die Stadt prägt.

Kiel war Mitglied der Hanse, trat bereits 1283 bei, doch ihre wirtschaftliche Bedeutung blieb hinter Lübeck zurück – nicht zuletzt, weil Lübeck als freie Hansestadt Privilegien genoss, die Kiel fehlten.

Dafür hatte Kiel anderes zu bieten: den Kieler Umschlag, einen seit 1431 stattfindenden steuerfreien Markt, der über Jahrhunderte Besucher aus aller Welt anzog. Und 1665 folgte die Gründung der Christian-Albrechts-Universität, der nördlichsten Universität im Heiligen Römischen Reich.

Zwischen Dänemark und dem Reich

Politisch befand sich Kiel in einer besonderen Lage: Vom 15. bis 18. Jahrhundert war die Stadt Teil des Herzogtums Holstein, das wiederum dem dänischen König unterstand –
gleichzeitig aber weiterhin Teil des Heiligen Römischen Reiches blieb.

Diese doppelte Zugehörigkeit spiegelt sich auch in der Stadtansicht wider: eine eher ruhige, geordnete Stadt, geschützt durch Wassergräben und Mauern, aber nicht in ständiger Kriegsgefahr wie viele südlichere Städte jener Zeit.

Die Karte: Ein Blick aus dem Süden

Die Karte zeigt Kiel aus südlicher Perspektive. Erkennbar sind die Förde im Vordergrund, das Kieler Schloss und die markante Nikolaikirche. Letztere wurde bereits um 1240 errichtet und ist bis heute das älteste erhaltene Gebäude der Stadt – ein Wahrzeichen, das den Zweiten Weltkrieg überstanden hat.

Die regelmäßige Bebauung innerhalb der Stadtmauer deutet auf eine klar strukturierte Stadtplanung hin. Die Stadtmauer selbst war noch klassisch mittelalterlich, mit Gräben verstärkt, aber nicht auf die neuen Belagerungstechniken der Frühen Neuzeit ausgelegt.

An der Hafenseite zeigt sich eine auffällige Öffnung in der Mauer – vermutlich eine bewusste Freilassung, die dem Handel diente.

Rund um die Stadt – Natur und Struktur

Im Vordergrund fließt die Kieler Förde, eine rund 17 Kilometer lange Bucht der Ostsee,
die auch den Kleinen Kiel speiste – ein Rest des alten Stadtgrabens, der bis heute im Stadtbild sichtbar ist.

Im Hintergrund erkennt man die hügelige, karge Landschaft Holsteins, die sich zwischen Nord- und Ostsee erstreckt. Rund um die Stadt liegen zahlreiche kleine Höfe und Ortschaften, wahrscheinlich Versorgungsbetriebe, die die Stadt mit Lebensmitteln belieferten.

Diese Dörfer sind von Baumreihen umgeben – nicht nur als Windschutz, sondern auch als Blitzschutz und Bauholzreserve, wie es damals üblich war.

Straßen, Plätze und alte Namen

Viele der Wege, die auf der Karte zu sehen sind, lassen sich bis heute im Stadtplan wiederfinden: die Holstenstraße, die Flämische Straße oder der Platz an der Nikolaikirche – der Alte Markt.

Trotz der schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg blieb die Grundstruktur der Altstadt erhalten. Nur wenige Gebäude überstanden die Bombennächte, darunter die Nikolaikirche, während das Kieler Schloss nach dem Krieg einem nüchternen Neubau wich.


Eine Stadt zwischen Vergangenheit und Zukunft

Die Karte „Chilonum vulgo Kyell“ ist mehr als eine Stadtansicht – sie ist ein Fenster in eine Zeit, in der Kiel noch eine kleine, aber wachsende Stadt war. Sie zeigt Ordnung und Übersichtlichkeit, aber auch Verwurzelung und Weitblick. Zwischen Förde und Feldern, zwischen Dänemark und dem Reich, zwischen Hansehandel und Hochschulgründung formte sich hier eine Stadt, die noch heute stolz auf ihre Geschichte blickt.

Ein Stück Geschichte für Zuhause

Diese historische Stadtansicht von Kiel (1612) ist Teil des Sortiments der Kartenhandlung Rothert – ein kunstvoller Nachdruck aus dem Atlas Civitas Orbis Terrarum von Georg Braun & Franz Hogenberg.

➡️ Jetzt entdecken: Stadtansicht Kiel 1612 – Kartenhandlung Rothert

Außerdem gibt es diesen Blog-Eintrag als YouTube-Video:

1 comment

Interessant! Ich hätte mir noch einige Worte über die Gestaltung der Karte und über die Bordüren und über die “Erzählung” (Reiter begegnet Frau) vorstellen können.
i,

Dr. Wolfgang Löhr

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