Kartengeschichte Teil 15: Ostfriesland um 1609 – Heimat der stolzen Friesen

Kartengeschichte Teil 15: Ostfriesland um 1609 – Heimat der stolzen Friesen

Wie die frühe Neuzeit eine besondere Küstenlandschaft festhielt

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in einer Epoche des Umbruchs zwischen Spätmittelalter und Moderne, entsteht eine Karte, die nicht nur Land verzeichnet, sondern Identität: die Darstellung „Frisia Orientalis“ – Ostfriesland – aus dem Jahr 1609. Sie zeigt eine Region, die sich seit jeher gegen die Kräfte der Natur behauptet und in der die Menschen ihrem Ruf als stolze, unabhängige Friesen gerecht werden.

Die Karte gehört zur Tradition jener Meisterwerke, die in der zweiten Hälfte der Renaissance den Blick auf die Welt erweiterten. Während Werke wie Ortelius’ Theatrum Orbis Terrarum die grenzenlose Vielfalt der Länder erfassten, widmen sich regionale Karten wie diese dem Besonderen: der Beziehung von Mensch, Landschaft und Geschichte.

Ostfriesland – Zwischen Marsch, Moor und Meer

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts ist Ostfriesland ein Land der Übergänge und Widerstände.
Hier treffen das unberechenbare Wattenmeer, wilde Marschlandschaften und weite Moorgebiete aufeinander. Die Karte von 1609 macht dies eindrucksvoll sichtbar: ein Flickenteppich aus Wasserarmen, Deichen, Inseln und fruchtbaren Landstrichen.

Die Dörfer und Kirchspiele liegen wie Perlen entlang schmaler Warften und höherer Geestkanten – ein Zeugnis für die ständige Auseinandersetzung mit dem Wasser. Die Friesen hatten schon früh Deiche errichtet, Sümpfe entwässert und Wege in der scheinbar unwegsamen Landschaft geschaffen.

Ostfriesland erscheint auf der Karte als geschlossene Kulturregion, aber zugleich als sensibler Raum, in dem Natur und Mensch in einem ständigen Balanceakt standen.

Ein Blick auf die Karte – Detailreichtum und künstlerische Sprache

Die Darstellung folgt der typischen Ästhetik der frühen Neuzeit:
Reiche Farben, geschwungene Schriftzüge, dekorative Wappen und kunstvolle Kartuschen rahmen das geografische Wissen ein. Figuren und ornamentale Elemente verleihen der Karte fast erzählerischen Charakter.

Besonders auffällig:

  • Die Nordseeküste mit ihren Inseln – damals noch in anderen Formen als heute. Viele Inselkonturen weichen stark vom modernen Bild ab.

  • Die Marschgebiete sind farblich hervorgehoben und zeigen die lebenswichtige Agrarfläche.

  • Siedlungen und Klöster sind durch rote Punkte und kleine Gebäudesymbole markiert – Hinweise auf ein dichtes Netz menschlicher Kultur trotz widriger Naturbedingungen.

  • Im rechten Bereich findet sich eine dekorative Nebenkarte, die einen besonders detaillierten Ausschnitt zeigt – ein Stilmittel, das nicht nur Orientierung bot, sondern auch den ästhetischen Anspruch der Kartographen unterstreicht.

Der Kartenrand im Süden zeigt zwei Figuren – typischerweise als Repräsentanten der Region dargestellt. Solche Staffagefiguren dienten dazu, kulturelle Identität zu inszenieren: Kleidung, Haltung und Ausstattung vermitteln ein Bild der Bewohner Ostfrieslands, wie es sich die damaligen Kartographen vorstellten.

Kartographie im Geist der frühen Neuzeit

Diese Karte entstand in einer Zeit, in der das Vermessen der Welt kein rein wissenschaftliches Unterfangen war. Es war ein kulturelles Projekt.

Der Wunsch, Wissen geordnet darzustellen, ging Hand in Hand mit künstlerischem Ausdruck.
Die Kartographen jener Epoche – beeinflusst von Renaissance, Humanismus und wachsendem Handel – wollten nicht nur informieren, sondern auch beeindrucken.

So verbindet die Karte von 1609:

  • geografische Präzision (nach dem damaligen Stand der Technik),

  • historische und politische Struktur (etwa die Gliederung der Herrschaften),

  • und künstlerische Symbolik (in Ornamenten, Figuren und Beschriftungen).

Damit wird Ostfriesland nicht nur als Raum gezeigt, sondern als Lebenswelt – geformt von Mensch, Natur und Geschichte.

Die Friesen – ein Volk, ein Mythos

Ostfriesland war zu dieser Zeit geprägt von einem ausgeprägten Selbstbewusstsein.
Die Friesen galten als freiheitsliebend, sturmerprobt und unerschütterlich. Ihre Geschichte ist geprägt von Bauernrepubliken, Deichgemeinschaften und dem berühmten „Upstalsboom“, dem Symbol frühfriesischer Freiheit.

Auf der Karte spiegeln sich diese kulturellen Eigenheiten wider:

  • kleine, aber selbstbewusste Kirchspiele,

  • autonome Landschaften und Herrlichkeiten,

  • Handelswege, die schon früh den Austausch mit dem Rest Europas ermöglichten.

Die Region präsentiert sich als eigenständiges, stolzes Territorium – weder urban geprägt wie Augsburg, noch zentralistisch organisiert wie viele Fürstentümer der Zeit, sondern dezentral, widerstandsfähig und naturverbunden.

Landschaft im Wandel – ein historisches Dokument

Besonders spannend ist die Karte für heutige Betrachter, weil sie eine längst vergangene Küstenwelt zeigt. Flussläufe, Inseln und Uferlinien haben sich über die Jahrhunderte stark verändert. Sturmfluten wie die Weihnachtsflut 1717 oder die Zweite Marcellusflut haben das Land mehrfach neu geformt.

Diese Karte von 1609 ist daher nicht nur ein kunstvolles Werk – sie ist ein Zeitfenster in eine Landschaft, die es so heute nicht mehr gibt.

Kunst, Wissen, Identität – Ostfriesland auf Papier gebannt

Was die Karte so besonders macht, ist ihre Vielschichtigkeit:

  • Sie zeigt das alltägliche Leben der frühen Neuzeit – Dörfer, Wege, Felder.

  • Sie erzählt von Kampf und Kooperation mit der Natur – Deiche, Moore, Wasserarme.

  • Und sie bewahrt die kulturelle Identität einer Region, deren Charakter bis heute nachhallt.

Mehr als 400 Jahre später fasziniert sie durch ihren Detailreichtum, ihre Farben und die historische Tiefe, die in jedem Pinsel- und Kupferstich mitschwingt.

Die Karte „Frisia Orientalis“ ist damit nicht nur ein Dokument der Geografie, sondern ein Zeugnis von Mut, Anpassungsfähigkeit und Stolz – Eigenschaften, die die Friesen bis heute prägen.

Diese historische Stadtkarte von Ostfriesland um 1609 ist Teil der Kollektion der Kartenhandlung Rothert – in feinster Druckqualität, auf hochwertigem Papier und optional gerahmt erhältlich.

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